„Das grauenhafte Erkennen der Dinge, die ich früher getan hatte, nun sah ich sie durch die Augen meiner Hunde, lähmte mich für einige Tage“
Menschen & Hunde: Interaktionen und Gefühle
von Anne Lill Kvam, Norwegen
Was ist ein Hund? Das ist die erste, schlichte und einfache Frage, die ich oft stelle, und meistens, wo auch immer ich bin, trifft sie auf Schweigen.
Die grundlegende und schlichte Antwort ist: Hunde sind Tiere. Sie sind Rudeltiere, und sie sind Jäger. Sie rennen nicht nur hinter Dingen her, die sich bewegen, sie fressen diese auch. Und sie sind Aasfresser.
Die nächste Frage ist: Was ist ein Mensch? Wir sind Rudeltiere, ganz sicher. Heutzutage leben die meisten Menschen in sehr kleinen Rudeln, aber es sind trotzdem Rudel. Wir waren einmal Jäger und Sammler, und unsere Instinkte aus dieser Zeit sind so gut wie vollständig. Später wurden wir Bauern, und als wir uns Tiere hielten und deren Leben von der Geburt bis zum Tod kontrollierten, änderte sich etwas in uns. Ein norwegischer Tierarzt (B. Børresen) schreibt unsere Fähigkeit, Tiere in Gefangenschaft zu halten, einem „Gefühls-Schalter“ zu, der in unserer Beziehung zu Tieren An und Aus „gedrückt“ werden kann. Die Käfighaltung im Pelzhandel erfordert beispielsweise eine Abwesenheit von Mitgefühl für das Leiden dieser Tiere, sonst wäre der Job unmöglich.
Und dann begannen wir mit Tieren zu interagieren.
Was ist eine Interaktion mit einem Tier, oder einem anderen Lebewesen? Es ist Kommunikation, Spielen, Sprechen, der Versuch einer Verständigung. Beispielsweise ist das An- und Ableinen definitv eine Form der Interaktion, und es gibt nette und nicht so nette Wege, dies zu tun. Ganz sicher ist Training Interaktion, und es gibt sehr viele nette Wege, Hunde zu trainieren.
Ich hatte einmal einen Affen, und dieses kleine Tier hat mir eine Menge beigebracht. Eines Tages wollte er mit einem jungen, recht überschwänglichen Labrador spielen, war jedoch ein bißchen durch das Gehüpfe und Gebelle eingeschüchtert. Also blieb er auf Distanz, und kam nur ganz langsam näher, und irgendwann verstand der Hund, und legte sich hin. Schließlich kam der Affe ganz nah zu ihm, und am Ende hatten sie eine schöne gemeinsame Zeit mit einem Kleidungsstück. Es war wirklich ein Geschenk zu beobachten, wie dieser Affe mit Hunden, Schweinen und Menschen kommunizieren konnte. Er war der beste Trainer, den ich je hatte.
Gefühle
Darwin beobachtete, dass jeder Mensch auf diesem Planeten, ganz egal aus welchem Land er stammt oder welche Sprache er spricht, die gleichen Gesichtsausdrücke hat, um spezielle Gefühle auszudrücken. Wölfe und Menschen benutzen die gleichen Gesichtsmuskeln um Wut auszudrücken. Genau wie Hunde, aber je nach Rasse ist das nicht immer so gut sichtbar.
Wenn man vom Wort „Emotion“ den ersten Buchstaben weglässt, bleibt das englische Wort „Motion“ = Bewegung (lat. Motio). Etwas das wir tun, eine Handlung. Die Gefühle werden in einem Teil des Gehirns produziert und verarbeitet, dem Limbischen System, welches bei Hund und Mensch gleich ist. In der Praxis heißt das: Hund und Mensch haben die gleichen Gefühle. Dies versuchen viele Experten als bloße Instinkte weg zu erklären, aber das sind sie ganz und gar nicht. Wenn wir Gefühle wie Sorgen, Eifersucht und Trauer bei Hunden als pure Instinkte abtun, dann können wir sie behandeln, wie es uns passt. In dem Moment, in dem ich verstand, dass mein Hund genau die gleichen Gefühle wie ich hat, veränderte sich mein Denken über mein Tun, was ich getan hatte, und was ich in Zukunft tun könnte. Das grauenhafte Erkennen der Dinge, die ich früher getan hatte, nun sah ich sie durch die Augen meiner Hunde, lähmte mich für einige Tage.
Eine besonders interessante Erkenntnis lautet, dass das Limbische System mit jenem Teil des Gehirns verknüpft ist, das sich um Logik kümmert, um technische Fähigkeiten und weise Entscheidungen – die Großhirnrinde (cerebral cortex). Diese Verbindung ist seitenverkehrt: wenn starke Gefühle entfacht werden, ist die Fähigkeit, logisch zu denken gehemmt, und anders herum. Wir sollten uns dessen bewusst sein, wenn wir uns mit Menschen und Hunden beschäftigen. Wir können kein verängstigtes Tier unterrichten. Es wird vielleicht etwas lernen, aber nicht, was wir uns wünschen – es könnte eine Verknüpfung des negativen Gefühls mit dem Training sein.
Die Sinne
Die Sinne sind unsere Möglichkeit, Informationen zu empfangen, und danach zu handeln (oder nicht). Manche der Sinne sind älter und primitiver als andere. Einem norwegischen Tierarzt zufolge ist das Gehirn einfach eine Erweiterung des olfaktorischen Sinnes (des Geruchssinns). Die frühesten Tiere mussten zwischen sicherer und gefährlicher Nahrung unterscheiden können, bevor sie in den Körper kam und Schaden verursachte. Um zu schnüffeln, zu riechen, und sich der verschiedenen Nahrungsmittel erinnern zu können, musste das Gehirn entsprechend wachsen. Darum ist der olfaktorische Sinn direkt mit diesem alten, primitiven, emotionalen Teil des Gehirns verbunden. Viele Menschen erinnern sich an Gerüche aus der Vergangenheit, die ein warmes, angenehmes Gefühl auslösen, wie Brötchen, die im Ofen backen. Oder vielleicht erinnert Sie eine Melodie an Ihre erste Liebe. Sobald Sie die Brötchen riechen oder die Melodie hören, sind Sie in Ihren Gedanken dort.
Beim Sehen jedoch sind die Dinge anders. Die Sicht ist viel jünger, und ist mehr mit Rationalität und Vernunft verbunden, als mit Gefühlen. Sie können beispielsweise eine Straße weit weg von Zuhause entlang laufen, und plötzlich sind Sie ganz sicher, einen Nachbarn gesehen zu haben. Allerdings wissen Sie, dass er tausende Meilen entfernt daheim ist. Oder Sie sehen etwas braunes langes im Gras, und springen beim ersten Blick zurück, denn es sieht aus wie eine Schlange. Dann merkt Ihr Verstand, dass es in Wahrheit ein Stock ist. Diese Zeitverzögerung, in welcher die Augen einem einen Streich spielen, gibt es bei Gerüchen nicht. Das ist so, weil die Botschaft von den Augen nicht weniger als fünf Synapsen im Nervensystem passieren muss, und jede Synapse ist eine mögliche Fehlerquelle.
Die innersten Gefühle
Wissenschaftler sind sich weitgehend einig über die Liste von innersten oder primitivsten Gefühlen, die wir uns hier kurz anschauen wollen.
Wut ist sicherlich eines der am meisten ursprünglichen Gefühle. Raserei, Entrüstung, Zorn, Empörung, und am extremen Ende Hass und Gewalt, alle kommen von der Wut.
Traurigkeit und seine andere Formen beinhalten Trauer, Kummer, Melancholie, Einsamkeit, und am äußersten Ende Depression. Tiere können depressiv sein. Ich traf einmal den Besitzer einer Katze, die Moody Cat hieß, launische Katze, und es ist wahr: manche Tiere sind tatsächlich launischer als andere. Einer der traurigsten kleinen Hunde, die ich je sah, war mein Welpe an dem Tag als ich ihn bekam. Er hatte gerade seine Familie und das einzige Zuhause, das er kannte, verlassen. Aber alles entwickelte sich am Ende großartig.
Angst ist ein grundlegendes Gefühl, darauf können sich alle einigen. Wieder gibt es verschiedene Ausmaße von Angst: Beklemmung, Nervosität, Besorgnis, Furcht, Schrecken, Terror, und am extremen Ende Panik und Phobie.
Freude und Glück, Erleichterung, Vergnügen, sogar die Sinnesfreuden sind ein zentraler Teil des Lebens, auch bei Hunden. Wenn wir etwas Gutes essen, oder ein lustiges Spiel spielen, gibt uns das ein gutes Gefühl. Es ist das gleiche bei Hunden. Und Hunde freuen sich, wenn wir lachen.
Liebe ist gemeinhin anerkannt ein weiteres grundlegendes Gefühl. Liebe tritt auch zwischen Tieren auf, und ist nicht bloß ein instinktives Verhalten. Akzeptanz, Freundlichkeit, Vertrauen, Zuneigung, Hingabe und Bewunderung sind alles Synonyme für die Liebe. Wir könnten die Liebe bis ins Unendliche diskutieren; da gibt es so viel zu beschreiben. Auch Elefanten verlieben sich und das ist ganz offensichtlich. Sogar bei Tieren, denen wir uns nicht nahe fühlen, verstehen wir einige Gefühle, da sie diese so deutlich ausdrücken.
Überraschung ist ein weiteres Gefühl, das ich oft bei Hunden beobachte. Die Synonyme beinhalten Verwunderung, Staunen, Verblüffung, und am schlechten Ende Schockieren.
Scham hat ebenfalls viele Namen: Schuld, Verlegenheit, Erniedrigung und Bedauern. In einem mir bekannten Fall erlaubte ein kleiner Hund, der sonst seine Besitztümer ziemlich heftig verteidigte, einer älteren Retriever-Hündin, ihm den Knochen wegzunehmen. Man konnte buchstäblich die Enttäuschung und Beschämung auf seinem Gesicht sehen, aber er attackierte sie nicht. Dann stellte sich heraus, dass die Hündin schwer krank war, und ein paar Wochen später starb; der kleinere Hund schien das verstanden zu haben.
Neugier
Ohne Neugierde könnten Tiere nicht überleben. In ihrem Buch „Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier“ nennt Temple Grandin dieses Gefühl das Bedürfnis zu Suchen. Suchen ist wichtiges Gefühl für Tiere – alle Tiere, nicht nur die Jäger, sondern auch die Beutetiere. Etwas zu Suchen ist viel stimulierender als es zu Finden, nicht nur für Wölfe und Hunde, sondern auch für Pferde. Zahlreiche Menschen denken: „Oh, so ein armer Hund! Er sollte wenigstens sein Futter ohne Gegenleistung bekommen“, und dann geben sie ihm sein Futter in einer Schüssel. Aber das ist falsch, denn wir wissen, wie das Gehirn funktioniert, und der Hund ist viel glücklicher, wenn man das Futter versteckt, so dass er ein bisschen dafür arbeiten muss. Das wird ihn glücklicher machen.
Emotionen können erlernt werden.
Hunde lernen über Verknüpfungen. Wenn ein Hund eine Person anschaut, und ein schlimmes Geräusch den Hund verängstigt, riskiert man, dass der Hund sich aufgrund des Geräusches vor der Person fürchtet, obgleich die Person immer sehr nett zu dem Hund ist. Ein gutes Beispiel für das Lernverhalten ist bei Welpen der Geruch der Mutterzitzen, welche sie als warm und sicher in Erinnerung behalten. Das ist der Grund, warum das Pheromon-Präparat DAP hilfreich sein kann in Stresssituationen wie bei Feuerwerk oder Gewitter.
Diese sind also einige der wichtigsten Gefühle, die wir mit anderen Tieren teilen. Versuchen Sie, sich in Ihrer Beziehung zu Ihrem Hund immer daran zu erinnern, dass er die genau die gleichen Gefühl empfinden kann wie Sie. Es ist erstaunlich, wie viel wertvoller und fruchtbarer Ihre Beziehung sein wird – auch Ihr Hund wird das lieben.
Übersetzt von Sonja Hoegen, 2014