Wie fasst man fast 17 gemeinsame Jahre zusammen, beschreibt eine Hündin, mit der alles begann?
Beginnen wir am Anfang!
Es war einmal eine kleine Hundeprinzessin…
Als ich Alanna das erste Mal sah, war ich wenig begeistert. Sie war so klein! Kleine Hunde waren damals für mich keine richtigen Hunde, die letzten Hunde unserer Familie waren Rottweilerin Romy und Golden Retrieverin Sheila gewesen. Den Tibet Terrier meiner Cousine empfand ich schon als sehr klein.
Meine Wünsche nach einem großen, älteren, verfressenen und Wasser-liebenden Hund ignorierend, brachte mir meine damalige Chefin Clarissa von Reinhardt 2004 einen Hund aus einem Tierheim in Bozen, Tirol, mit. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinen eigenen Hund, und es ging mir folglich nicht gut. Die ersten Blöcke meiner ersten Hundetrainerausbildung waren gerade rum, und wie so viele Studenten war ich in diesem Stadium völlig verunsichert, und stellte alles in Frage, was meinen Umgang mit Hunden betraf.
Obgleich Loretta, so hieß die kleine Mischung aus Dalmatiner und Jack Russell Terrier, nur etwa drei Jahre jung, schleckig und wasserscheu war, nahm ich sie mit, am 18.01.2004, in meine kleine, kalte Wohnung am Chiemsee. Sie kuschelte sich an mich in dieser ersten Nacht, und legte ihren Kopf in meine Halsbeuge. Ab da gehörten wir zusammen.
Die Heldin aus meinem liebsten Kinderbuch heißt Alanna, und sie ist klein, hat rote Haare und einen starken Willen. Sie wird oft unterschätzt, ist loyal und manchmal übertreibt sie es ein bißchen. Bis auf die roten Haare passte alles, nach und nach.
Von Alannas Vorgeschichte war nichts bekannt, aber so großartig konnte sie nicht gewesen sein. Wem man sie vorsichtig hochhob, schrie sie markerschütternd, und auch sonst war sie schreckhaft und misstrauisch. Sie war so angespannt, dass sie tagelang kein Geschäftchen machen konnte, und vor lauter Stress wurde sie schwer krank. Die Besuche in der Tierklinik waren hart, sie ließ sich kaum anfassen, die Infusion zu setzen war wie eine Vergewaltigung.
Genauso mysteriös wie sie krank geworden war, ging es ihr plötzlich besser, aber die Problematik mit dem Anfassen blieb uns viele Jahre erhalten. Krallen schneiden, Ohren kontrollieren, Pfoten säubern – das waren Tragödien, vor denen es mir bald selbst graute.
Am liebsten saß sie auf meinem Schoß, auch beim Autofahren, aber wehe, ich wollte sie umsetzen. Wenn ich sie falsch berührte, schrie sie auf, und manchmal verlor sie sogar die Kontrolle über ihre Blase, wenn jemand versuchte sie zu streicheln. Phasenweise reichte es, wenn man sie nur anschaute. Dass sie so hübsch war, machte die Sache nicht besser.
In den vielen Jahren lernte ich die Landkarte ihres Körpers kennen: Brustkorb und Rücken waren okay, Kopf und Nacken manchmal, und Ohren, Maul, Pfoten, Hintern und Rute waren absolut tabu.
Nachts presste sie sich an mich, ein kleines Heizkraftwerk, und auch wenn meine Beine taub wurden, bewegte ich nicht nicht. Nur ihre Nasenspitze schaute unter der Decke hervor. Dann pfötelte sie nach mir, ich sollte sie am Brustkorb kraulen, manchmal nur ein paar Sekunden lang, manchmal ausgiebig. Das war so schön.
Natürlich ließ ich sie körperlich komplett durchchecken, vielleicht hatte sie ja Schmerzen? CT, Endoskopie und einiges mehr ergaben genau nichts. Sie war einfach so.
In vielerlei Hinsicht machte sie es mir leicht: Frei laufen, Leinenführigkeit, Allein bleiben, all das war kein Problem. Ich rief, sie kam. Alle Kommandos, alle Tricks, alle Übungen aus der Hundetrainerausbildung erprobte ich mit ihr. Sie war der erste Hund, den ich clickerte – und sie gab mir sofort die Quittung für meine Fehler. Mit ihr ging ich die erste Fährte, baute zum ersten Mal Schritt für Schritt Apportieren auf, befüllte das erste Intelligenzspielzeug – so vieles von dem, was ich heute selbst Studenten mit ihren Hunden beibringe, lernte ich mit ihr.
Alanna war unfassbar clever, schaute mich aus runden, fast schwarzen Augen mit weißen Wimpern ernst an. Jedes neue Kommando verstand sie in Rekordzeit, sie war konzentriert und vorausschauend, schon bald musste ich auf einem Spaziergang kaum noch Kommandos geben, weil sie ohnehin wusste, was zu tun war.
Sie war jene Art Hund, die Hundetrainer gut aussehen lässt, und ich bin der absoluten Überzeugung, dass ich einen Großteil meines Erfolges Alanna verdanke.
Später, in meiner eigenen Hundeschule, sahen die Kunden Alanna, und wollten das auch: dieses aufeinander Verlassen, dieses unaufgeregte Spazieren gehen. Das stille und innige Vertrauen. Wenn ich mich umschaute, war sie da.
Eines der Hauptprobleme, mit welchem Menschen zu mir kommen, sind Hund-Hund-Begegnungen. Alanna war hier meine beste Co-Trainerin. Sie wusste genau, wie weit sie sich nähern kann, wann Beschnuppern möglich ist, und sie sagte mir auch, wenn etwas nicht koscher war. Wenn also ein neuer Hund auf dem Hof war, der angeblich außer Rand und Band auf jeden anderen Hund losging, dann holte ich Alanna. Ohne Leine ließ ich sie einfach machen. Sie ging hin, oder auch nicht. Sie beschwichtige wie aus dem Lehrbuch (Turid Rugaas mochte Alanna sehr, und Anne Lill Kvam nannte sie eine kleine Waldelfe), und zur Faszination der Kunden wurde der andere Hund ruhig und beschwichtigte ebenfalls. „So hat er sich noch nie benommen“, hörten wir dann oft. Manchmal war Alanna die erste Hundefreundin seit langer, langer Zeit.
„Deine Hunde verstehen sich immer mit allen“, wird mir oft gesagt, und das stimmt. Aber all das begann mit Alanna, die später Kaylin zur Unterstützung einlernte, und am Schluss noch Teresa ein paar Berufsgeheimnisse ins Ohr flüsterte.
Obgleich sie so klein war („wenn eine Fee vorbei kommt, dann wünschen wir uns lange Beine für Alanna“), verbreitete sie auch bei den großen Kollegen Respekt, und ich nahm sie mit zu unzähligen Einzel- und Gruppenstunden. Sie sorgte allein mit ihrer Präsenz für Ordnung. Hätte Alanna ein Poesiealbum gehabt, es wäre sehr voll gewesen.
Sie legte sich mit keinem Hund an, ließ sich aber auch nicht die Butter vom Brot nehmen. Hunderten von Pensions- und Pflegehunden erklärte sie – mehr oder weniger geduldig – die Regeln in unserem Haus, das war sicher nicht immer leicht.
Was sie der Hundeschule gab, hatte die Hundeschule auch ihr gegeben: anfangs nämlich hatte Alanna Angst vor anderen Hunden, sie verkroch sich zwischen meinen Beinen und stieß ihre berühmten Schreie aus. Doch nach und nach begann sie mit einigen Hunden zu spielen, und als ich schließlich meine eigene Hundeschule eröffnete, wurde „Sozialisierung“ zu ihrem Fachgebiet. Vielleicht weil sie selbst so große Angst gelitten hatte, verstand sie andere Hunde mit Problemen so gut.
Die Jahre vergingen, und wir verabschiedeten Anton, Robbie, Tanis, Sophie und schließlich Kaylin und Fitzwilliam. Alanna war die Konstante an meiner Seite.
Mit ihr entdeckte ich die Besuchshunde-Arbeit, sie liebte es, sich Leckerchen zu erarbeiten. Wenn ich den Clicker in die Hand nahm, und sie den Ring klimpern hörte, freute sie sich riesig, den nun hieß es „Schlüssel find“, oder wir lernten einen neuen Trick. Für Nürnberger Würstchen, am besten gebraten, tat sie fast alles, dafür ging sie später sogar in kleine Wasserbecken. So ziemlich jeder Kunde lernte von ihr, dass man Leckerchen von der flachen Hand gibt – oder es bereut. Bei dem ein oder anderen blutete sogar der Finger. Meine kleine Terrier-Prinzessin.
Sie kannte die Stars der Hundetrainer-Welt persönlich, und auch wenn sie die neuesten Methoden sozusagen aus erster Pfote erfuhr, so musste sie als Trainerhund doch oft zurück stecken, weil ich den ganzen Tag mit anderen Hunden verbrachte. Ich wünschte, ihr hätte mir mehr Zeit für nur meine Hunde genommen. Meine schönsten Erinnerungen sind die gemeinsamen Urlaube, die Wanderungen an der französischen Küste oder über die grünen Hügel Englands.
Sie liebte das Fährtentraining, und selbst im letzten Jahr, als sie an Spaziergängen kein Interesse mehr hatte, verfolgte sie noch kleine extra kurze Fährten mit Hingabe. Sie liebte es, im Sand am Meer zu rennen, gerne mit Kaylin um die Wette. Sie liebte es, nach Mäusen zu buddeln, mit mehr Eifer als Erfolg. Sie liebte es, zu fremden Leuten beim Picknicken hinzulaufen, und sich von den zumeist hingerissenen Menschen füttern zu lassen. Wo es so entzückende Mini-Dalmatiner gäbe, wurde ich gefragt. Im Tierschutz.
Ganz schnell hatte sie gelernt, den begeisterten menschlichen Grabsch-Händen auszuweichen, und ich hatte gelernt, wann und wo und wie sie gekrault werden mochte. Sie war ein bißchen wie eine Katze. Zum Geschirr und Mantel anziehen hatten wir unsere Rituale entwickelt, und abends deckte ich sie schon ganz automatisch zu, so wie sie es mochte. Mit dem Alter wurde sie duldsamer, nachgiebiger, ihr samtschwarzen Ohren wurden weiß und taub, und anstatt langen Spaziergängen durch die Felder bevorzugte sie jetzt Schnüffelrunden in der Stadt.
Auch hier war Alanna für mich die erste: noch nie hatte ich einen Hund in ein so hohes Alter begleiten dürfen. Sie wurde zerbrechlich, die Hinterbeine schmal, das Tempo langsamer. Sie wurde 17, dann 18, und schließlich 19. Mein kleines Hunde-Seniorenheim verwandelte sich in ein Hospiz. Auf den Spaziergängen krochen wir nun, vorbei die Tage des Flitzens, für immer vorbei.
Ich trug sie viel, damit sie dabei war. Das alte Anfass-Problem war zu einer Erinnerung geworden, nach so vielen Jahren. Der gute Appetit, welcher ihr ein stattliches Bäuchlein beschert hatte, war vergangen, die Nieren waren schwach. Wie eine verzweifelte Irre kaufte ich im Supermarkt und Tierladen alles, was ihr schmecken könnte. Manches aß sie einmal, und dann nie wieder. Die Medikamente zu verabreichen wurde zur Nervenprobe, ich bekam manchmal einfach nichts in sie hinein. Sie schlief viel und tief, und dann konnte sie ohne Hilfe nicht mehr aufstehen oder sich umbetten. Ihr kleiner Körper war ganz weich und ohne Spannung, und als der Tierarzt zum letzten Mal zu uns nach Hause kam, war die Entscheidung eindeutig. Am 10. März 2020 hielt ich sie in meinen Armen. Ihre fast schwarzen runden Augen hatten mich den ganzen Tag immer wieder gesucht, es ging ihr nicht gut. Dann war sie fort.
Als ich vor der Dame im Krematorium stand, die mich schon als Kind kannte, und der ich nun mein drittes Familienmitglied innerhalb sechs Wochen brachte, schaute sie auf die Papiere, und sagte: Das ist ja Ihr halbes Leben.
Und so war es. Fast 17 Jahre waren Alanna und ich zusammen. Meine kleine Heldin. War es ein erfülltes Leben? Ich denke schon. Hätte ich manches besser machen können? Bestimmt! Vor allem am Schluss, als mir die Kräfte ausgingen. Doch wie so vieles, hatte sie vielleicht auch das verstanden. Sie hatte so lange durch gehalten. Von den ursprünglichen fantastischen Vier mit Sophie, Kaylin und Fitz, war sie die erste gewesen, und nun die letzte. Erst als sie alle diese Welt verlassen hatten, erst dann verließ sie ihren Platz an meiner Seite.
Meine kleine, kluge Alanna. Ich danke dir. Ich habe dich sehr, sehr geliebt. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.