Fitz’ Geschichte handelt von Autos und Rebhühnern, von Möwen und Meeresrauschen, vom Kuscheln unter der Decke, von unvergleichlicher Tapferkeit. Unsere gemeinsame Geschichte begann im November 2012. Tanis, mein English Setter aus Italien, war neun Monate zuvor plötzlich an Nierenversagen gestorben. Er hatte mich mit seinem wundervollen sanften Wesen für diese Rasse eingenommen, und ich wollte wieder einen Bub, der sich so gut an meine Mädchen Alanna, Sophie und Kaylin anpassen würde. In Italien und Spanien gibt es Setter in Scharen, sie führen dort als Jagdhunde ein sehr hartes Leben, bis sie es hinter sich haben, auf die ein oder andere Weise.
Ich suchte Fitzwilliam nicht selbst aus. Eine befreundete Tierschützerin lud mich ein, ein Tierheim in Bilbao in Nord-Spanien zu besuchen. So entstand die Aktion „Hundeglück im Schuhkarton“ – aber das ist eine andere Geschichte.
Ich nehme jenen Hund, sagte ich, der schon älter ist, schlechte Chancen auf eine Adoption hat, mit meinen Mädels gut klar kommt, und vielleicht noch ein English Setter ist. Und so stellte mir der Verein Arme Pfoten für APA Puppy Bilbao den sechsjährigen Rimbo vor, nicht sonderlich fit, ziemlich taub, ein ruhiger Kollege. Wie so viele war er als Jagdhund ausgebeutet worden, und wartete seit langer Zeit auf seine Glücksstunde. Es gibt Fotos aus dieser Zeit im Tierheim, die an die Zustände dort erinnern, die Zwinger so groß wie eine Gästetoilette, mit rostigen Türen und einem im Winter immer nassen Boden, weil die Fliesen falsch gelegt wurden, und es kein Dach gab. Ich habe die voll gekoteteten Ausläufe gesehen, in welche jeder Hund pro Tag 15 Minuten „durfte“, solange sein Zwinger ausgespritzt wurde. Die restlichen 23:45 Stunden verbrachte Rimbo dann im Zwinger, und natürlich war spätestens am Nachmittags die kleine Fläche wieder verunreinigt. Es gibt Fotos von Rimbo, wie er durch die verbogenen Gitter schaut, eine tiefe Verzweiflung in diesem sanften Gesicht. Ein ganzes Jahr war er in dieser staatlichen Perrera.
Wenige Wochen vor unserem Zusammentreffen organisierte der Verein Rimbos Umzug in eine private Pension, wo besonders schutzbedürftige Hunde aus der Perrera Unterschlupf fanden. Er wurde aufgepäppelt und dort sah ich ihn zum ersten Mal. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, aber natürlich nahm ich ihn mit, wie hätte ich ihn nicht mitnehmen können? Ich bin froh, dass er für mich ausgesucht wurde, denn ihn aussuchen hieß alle anderen zurücklassen.
Sein Vorstellungsgespräch bei Alanna und Kaylin, die mich auf dieser denkwürdigen Reise begleiteten, verlief gut, ich packte noch zwei Welpen ein, deren Adoptanten schon in Deutschland warteten, und so traten wir die Heimreise an. Mann, war das eine lange Fahrt, Frankreich schien Stunde für Stunde größer zu werden. Rimbo verhielt sich tadellos, für den Rest seines Lebens war er am liebsten im Auto unterwegs und mein treuer Begleiter auf vielen Touren. An manchen Tagen fuhren wir eine kleine ziellose Runde nur für ihn.
Daheim bekam Rimbo einen „working title“: Striezel. Er striezelte alles, aber auch alles an, über viele, viele Wochen, oder waren es Monate? Auch sonst hatte er keinerlei Manieren, er räumte den Küchentresen ab, er zerkratzte die Türen, er hatte ja noch nie in einem Haus gelebt. Schnell fand sich die Ursache für seine „Taubheit“: er hatte die schlimmste Ohrenentzündung, die der Tierarzt und ich je gesehen hatten, auch das Trommelfell war beschädigt. Nachdem die Entzündung im Griff war, hörte er ziemlich gut – wenn er wollte.
Gegenüber Menschen und Hunden verhielt Rimbo sich – anders als zu meinen Möbeln – wie ein echter Gentleman, und da er einer altehrwürdigen englischen Rasse angehörte, bekam er einen entsprechenden Namen: Fitzwilliam. Posh, eh?
Fitz liebte die Freiheit bei uns auf dem Hof, er liebte die Menschen, die er nur anpföteln musste, damit sie ihn streichelten, er liebte es, im Auto zu liegen, und von allen, die vorbei kamen, begrüßt zu werden. Einmal war der Audi zwei Tage in der Werkstatt: Fitz war fassungslos, und legte sich demonstrativ vor die leere Garage. Wenn ich Fitz suchte, musste ich nur schauen, wo ein Auto offen stand. Als wir von einem langen Sommerurlaub zurück kehrten, kontrollierten Alanna und Kaylin mit Begeisterung den Hof, und wollten dann ins Haus. Fitz stieg wieder ins Auto ein: schön hier, jetzt können wir weiter fahren.
Fitz war zu einer Zeit in meinem Leben, als ich gerade den Campingurlaub für mich entdeckt hatte. Oder vielmehr für uns. Mit Alanna, Kaylin, Fitz und später Teresa ging es auf Tour, zumeist nach Großbritannien, aber wir waren auch in Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Italien. Dies sind die schönsten Erinnerungen, Fitz, wie er sich in Aberdeen im Schlamm wälzt, und ich das Waschbecken des Besucherzentrums zur Hundedusche umfunktioniere. Fitz, als er in Südengland am Strand die Kühltasche eines verliebten Pärchens anstriezelt. Fitz, der früh morgens bei Tatton Park eine Wiese durchstreift, plötzlich erstarrt, und wusch! fliegt ein Rebhuhn auf. Fitz, wie er unfreiwillig zum St. Michaels Mount schwimmt, weil ich die Flut unterschätzt habe. Fitz, wie er in Gretna Green traditionell Scotch Eggs mit Begeisterung herunterschlingt.
Für Strände und besonders Möwen hatte Fitz eine große Schwäche. Anfangs kam er gar nicht zur Ruhe, er zog an der Leine wie ein Irrer. Ich lernte schnell unsere Strände nach Möwen-Dichte auszusuchen. Wenn eine Möwe schrie, funktionierte der beste Abruf nicht mehr, und viele Briten durften die seltsame Deutsche beobachten, wie sie ihrem Setter hinterher rannte, um ihn dann „lost in space“ einzusammeln. Trotzdem ließ ich ihn immer wieder am Strand von der Leine: es war ein Naturerlebnis, ihn entfesselt zu sehen, er rannte und rannte durch die Wellen, hinüber zu den Dünen und zurück, die Nase im Wind.
Am endlosen Sandstrand von Sangatte bei Calais rannte er den Möwen hinterher, bis auch er selbst nur noch ein kleiner weißer Punkt war, kaum noch sichtbar durch das Teleobjektiv meiner Kamera. Ich dachte, er rennt bis nach Spanien.
Auf den Äußeren Hebriden Schottlands wollte ich Fitz’ Traum erfüllen. In Port Ness gibt einen Strand, der umgeben ist von Felsen, mit nur einem Ausgang, an welchen ich direkt parken konnte. Am frühen Morgen, bevor mehr Leute kamen, durfte Fitz hier rennen, so lange er wollte. Und das tat er. Er jagte die Möwen, er tanzte mit den Wellen, die ganze Bucht gehörte ihm. Irgendwann sammelte ich ihn dann doch ein, da seine Beine zitterten, und schließlich trug ich ihn ins Auto, wo er selig einschlief.
Fitz hatte Grauen Star und dieser wurde immer stärker. Die Erblindung machte ihn unsicher. Mein lebensfroher Bub zog sich mehr und mehr zurück, war ängstlich, und so ließ ich ihm 2015 in Wiesbaden vom erfahrensten Augentierarzt Deutschlands künstliche Linsen beidseitig einsetzen. 80% aller Hunde sehen nach diesem Eingriff wieder in fast voller Stärke. Um eine lange, komplizierte Geschichte kurz zu machen: es funktionierte nicht. Fitz war jener fünfte Hund, nur wenige Wochen nach der OP „implodierte“ das eine Auge, 2018 musste es entnommen werden. Das andere Auge war ebenfalls alles andere als problemfrei, und zeitweise bekam er vier verschiedene Tropfen 15x am Tag, und das alles ertrug er so tapfer.
Als auch das verbliebene Auge erblindete, wurde Fitz’ Welt sehr klein. Ständig stieß er irgendwo an, jeglicher Übermut verschwand. Spazieren gehen wurde zur Herausforderung, und am liebsten lag er nur noch im Auto. Dann ertaubte er, und die Führung über konstantes Zurufen funktionierte auch nicht mehr. Aus seiner Unsicherheit wurde Verzweiflung, oft bellte er, auch im Haus, weil er nicht wusste, wo ich bin. Den Weg vom Schlafzimmer nach draußen trug ich ihn, weil er ihn nicht mehr fand. Er war jetzt wahrscheinlich 14 Jahre alt.
Am 30. Januar 2020 wurden Fitz und Kaylin vom Spezialisten in der Tierklinik untersucht, und es wurde ein faustgroßer Tumor in Fitz’ Lunge festgestellt. Inoperabel, unheilbar. Ich war erleichtert. Fitz war so tapfer, die vergangenen Monate waren so hart gewesen. Nun gab es keinen Zweifel mehr, keine Fragen. Drei Monate gab der Arzt ihm maximal.
Am nächsten Tag plante ich alles um. Fitz sollte nochmal ans Meer, Abschied von den Möwen nehmen. An diesem Abend starb Kaylin, und so fuhren Fitz, Alanna, Teresa und ich nach Frankreich, zu den Landungsstränden. Und Kaylins Asche.
Fitz ging es auf dieser letzten Reise körperlich nicht gut. Die Palliativ-Medikamente schlugen nicht wie erhofft an. Im November zuvor war er noch am Strand in Holland durch den Meeresschaum getrabt. Er hatte die freie Bahn genossen, sich nirgends anzustoßen, einfach zu laufen, ohne Angst. Weil ich ihn immer wieder rief, wusste er, wo wir waren, und es war ein schöner Urlaub.
Davon war im Februar nichts mehr da. Kein Rennen am Strand, kein Möwen jagen. Er hob die Nase in den Wind, und dann legte er sich in den Sand, seinen Kopf in meinen Schoß. So verbrachten wir unsere letzten gemeinsamen Tage am Meer und im Auto. Er durfte alles essen, was der Auchan hergab, Kebapfleisch und gebratenes Rinderfilet fand er großartig. An manchen Stellplätzen konnte ich direkt an den Klippen parken, so dass die salzige Luft durch die offene Heckklappe herein wehte, und wir lagen eingemummelt unter den Decken. Er bellte kein einziges Mal verzweifelt auf dieser Reise.
Es gibt ein Foto von ihm, wie er blind und taub sein Gesicht der Sonne zuwendet, die Möwen nur wenige Meter entfernt. Er war im Frieden mit sich. Lass die Schatten hinter dich fallen, scheint dieses Bild zu sagen.
In der Woche nach unserer Rückkehr starb er in meinen Armen, daheim. Mein sanfter Fitz, mit dem Herz aus Gold. Mein wundervoller, friedlicher, tapferer Striezelhase. Er schmiegte sich gerne an mich, er war gerne zugedeckt. Sein Fell war so geschmeidig wie Buttercreme. Er war ein liebevoller, großzügiger Schatz. Viele Leser hier haben ihre eigenen Erinnerungen an ihn, an sein freundliches Pföteln, wie er beim Sommerfest um den Grill herumschlich, wie er ihr Auto ausprobierte, wie er sich ganz dicht vor sie hinsetzte und sagte: rück den Käse raus.
Mein sanfter Bubi. Ich bin so dankbar, dass er mir vorgestellt wurde, dass ich ihn haben durfte, acht glückliche Jahre.